Der Motor sollte die Mühsal der Menschen beseitigen. In Wirklichkeit ist er nur das Ersatzobjekt der Arbeit gewesen. Wielange und wo wäre er Werkzeug gewesen? Man kann es sagen: hier und da, bei manchen Gelegenheiten. Aber wir werden letztlich ebensoviel oder mehr an den Motoren gearbeitet haben als mit ihrer Hilfe. Sie haben uns nur verschoben, das ist alles.
Michel Serres, Der Parasit
Konsumrausch, Tendenz steigend
Schon im Bericht Die Grenzen des Wachstums aus dem Jahr 1972 warnte der Club of Rome vor Überbevölkerung, übermäßiger Ausbeutung der Rohstoffe, Umweltverschmutzung, Klimaerwärmung durch steigendes CO2 in der Atmosphäre, abschmelzende Polkappen. Diese Problemlagen haben sich heute, 43 Jahre später, entsprechend verschärft, ohne dass Lösungen in Sicht wären, im Gegenteil: Grenzenloser Konsum ist angesagt. Die globalisierte Industriegesellschaft verbrennt, verheizt, verbraucht heute jetzt ein Vielfaches mehr als 1972. Verzicht ist für den Homo i.: ein Unwort, ein Schimpfwort, ein Tabuwort.
Der Konsumrausch wurde global und ergriff fast jedes Land. Die ungeheure Ansammlung von Elektrogeräten und Medienwelten, von Möbeln und Baumaterialien, von Automobilen und Maschinen und ihre anscheinend unbegrenzten Konsummöglichkeiten versichert dem Homo i. die Richtigkeit und Logik der industriellen Realität. Ein Gang durch die riesigen Konsumtempel könnte einen Normalsterblichen zur schieren Verzweiflung treiben. Ich empfehle in München: Saturn auf der Theresienhöhe. Oder die Mercedes-Niederlassung an der Arnulfstraße. Oder die BMW-Welt. Oder jeden beliebigen Baumarkt.
Autoindustrie
Ein weiteres Beispiel für den Fetisch Wachstum ist die Auto-Industrie. Die durchschnittlichen PS-Zahlen der deutschen Autoflotte steigen unaufhörlich. Von 68 PS im Jahr 1978 hat sie sich mit 140 PS im Jahr 2014 verdoppelt. Damit steigt auch die zu erzielende Geschwindigkeit – und damit natürlich auch der Verbrauch. Ein schönes Beispiel: der Verbrauch des Porsche Cayenne Turbo S. Zitat aus AutoBild: „Bei Dauervollgas soff der 270-km/h-SUV sagenhafte 66,7 Liter Super plus. Der Bordcomputer verriet das nicht, er stoppt schamhaft bei 29,9.“ Mit dem Tankinhalt von 100 Litern kommt der Cayenne Turbo S also bei Vollgas gerade einmal 150 Kilometer weit. Noch mehr braucht die Marke Bugatti des VW-Konzerns. Der Bugatti Veyron hatte 1200 PS. Der 2016 vorgestellte Bugatti Chiron hat nunmehr 1500 PS, die 420 km/h ermöglichen – und in acht Minuten Vollgas den 100-Liter-Tank leeren.
Die Autoindustrie ist mächtiger als jeder Bundeskanzler (man erinnere sich an den „Autokanzler Schröder“) und mächtiger als jede Bundeskanzlerin. Die flog übrigens im Oktober 2015 mit vielen Industriekapitänen nach China, um Aufträge in Milliardenhöhe zu requirieren. Dabei war auch der neue VW-Chef Matthias Müller, um den VW-Skandal zu glätten: China trägt mit 30 Prozent zum VW-Umsatz bei. Der VW-Konzern hat bei weltweit über elf Millionen Pkw so kriminell wie zynisch die Stickoxid-Entgiftung außer Kraft gesetzt. Stickoxide schädigen Atemorgane und Lungenfunktion, sind am Sauren Regen, am Sommersmog und der Ozonbildung beteiligt.
Deutschland, der selbsternannte „Vorreiter“ im Umweltschutz, ist nicht einmal in der Lage, ein Tempolimit auf Autobahnen vorzuschreiben. Kleines Beispiel für Auto-Lobbyismus aus der SZ vom Juni 2015: eine Besprechung des Porsche GT3 RS, Grundpreis 181.690 Euro, 500 PS, Höchstgeschwindigkeit 310 km/h. Zitat: „Der auf 2000 Stück limitierte 911 GT3 RS übertrifft in allen drei Disziplinen den ebenfalls ausverkauften GT3, der statt 500 PS nur 476 PS unter der Haube hat. Für happige 45.000 Euro mehr erhält der RS-Kunde die klassische Dröhnung aus tiefer, breiter, stärker und böser. Vor allem böser…“
1960 gab es um die 120 Millionen Autos weltweit. Schon 2009 waren es global erstmals mehr als eine Milliarde – Tendenz steil nach oben. Parallel dazu stieg auch die weltweite Autoproduktion. Im Jahr 2000 lag sie bei 41 Millionen Pkw. 2014, nur 14 Jahre später, waren es über 67 Millionen – über 50 Prozent mehr. Jeden Tag kommen 185.000 Pkw auf die Welt. 1990 kam jede Sekunde ein Auto auf die Welt; 2015 kommen jede Sekunde zwei Autos auf die Welt.
Das Wachstum der Maschinen
Im Jahr 2010 benutzten 2,4 Milliarden Menschen das Flugzeug, 2015 gab es weltweit etwa dreieinhalb Milliarden Flugpassagiere. 2050 sollen es nach Schätzungen 16 Milliarden werden.
Laut einer Statistik der Luftfahrtindustrie sitzen ständig rund 700.000 Menschen in Flugzeugen – das wäre bei einer angenommen durchschnittlichen Besetzung von 200 Passagieren eine permanente Belastung der Erdatmosphäre durch 3.500 Flugzeuge.
Ein weiteres Beispiel für Wachstum sind die technischen Megamaschinen. Small is not beautiful – für den Homo i. Alles wird größer, stärker, teurer: So lautet sein Wachstumsideal
Der Airbus A380: Spannweite 80 Meter, Länge 73 Meter. In die Tanks passen 310.000 Liter Kerosin – ungefähr 150.000 Liter werden bei einem Flug von München nach New York verbrannt. A propos A380 – Werbung aus der SZ vom 21.10.2015: „The Residence – Rückzugsort mit drei Zimmern. Separates Wohnzimmer. Eigene Dusche. Schlafzimmer mit Doppelbett. Persönlicher Butler. The Residence ist auf der Etihad Airways A380 verfügbar, täglich im Einsatz zwischen Abu Dhabi und Sydney.“ Und der neue Boom-Jet soll mit Überschall-geschwindigkeit in dreieinhalb Stunden über den Atlantik düsen.
Z.B. Containerschiffe: Die MSC Zoe wurde am 2.8.2015 in Hamburg getauft: Es ist das größte Containerschiff der Welt: fast 400 Meter lang, 59 Meter breit und trägt 19.244 Container. Schon 2017 wird Samsung Heavy Industries ein Schiff mit 20.150 Tonnen ausliefern.
Z.B. Kreuzfahrschiffe: Die Allure of the Seas kostete eine Milliarde Dollar, ist 361 Meter lang und 47 Meter breit, hat Platz für 7.565 Passagiere und Besatzung. Die kommende Klasse hat Platz für 12.400 Passagiere und Besatzung. Die Titanic lässt grüßen… Und 2016 waren weltweit 56 Kreuzfahrschffe mit mehr als 156.000 Betten bei den Werften in den Auftragsbüchern.
Auch eine Art „Wachstum“ stellt die Produktion von Nutztieren dar. Ein Beispiel: In den USA wiegen die schlachtreifen Hühner inzwischen bis zu fünf Kilo. Diese Turbo-Tiere werden in Rekordzeit auf ein Gewicht gemästet, das ihr Leben unerträglich macht. Überhaupt zählt der Umgang des Homo i. mit Flora und Fauna zum brutalsten in der Menschheitsgeschichte.
Zum Wachstum gehört auch die Überbevölkerung des Homo i. selbst: die nächste Parallele zur Osterinsel. Die Weltbevölkerung zählt derzeit etwa 7,4 Milliarden Menschen und wird nach den Prognosen im Jahr 2050 bei 9,9 Milliarden Menschen liegen – ein Zuwachs von 33 Prozent: als ob dies ein hinzunehmendes Naturgesetz sei. Und es geschieht NICHTS, um diese Entwicklung wirklich zu stoppen.
Fotos: (c) Zängl/GÖF