Auf der Straße wird man zunehmend von Leuten angerempelt, die einen nicht sehen, weil sie in ihr Smartphone starren. Durchschnittlich 150 Mal am Tag schaut der Homo i. darauf – etwa zehn Mal pro Stunde. In der U-Bahn liest kaum mehr jemand ein Buch. Die meisten wischen über ihr Smartphone, haben Ohrstöpsel, sind digital abgeschottet. Die Zeit-Diebe Facebook, Twitter, Google, Emails stehlen Leben. Und millionenschwere Jackpots zahlloser Lotterien lassen beim Homo i. die Illusion entstehen, jeder könne Millionär werden.
Keine tröstliche Perspektive: Milliarden von Homo i., die klügsten Köpfe und die bestbezahlten Manager, arbeiten mit aller Energie und voller Überzeugung daran, das Überleben auf diesem kleinen Planeten Erde zu ruinieren und zu verunmöglichen. Weil sie die Auswirkungen ihres eigenen Handelns nicht realistisch einschätzen wollen oder können.
Theodor W. Adorno schrieb in Minima Moralia den berühmten Satz: „Es gibt kein richtiges Leben im falschen.“ Aber es gibt sicher eine Skala zwischen dem weniger falschen und dem ganz falschen Leben. Wer macht mit beim System des Homo i. – und wie oft, wie lang, wie stark, wie begeistert, mit welchen und wie viel technischen Geräten und Maschinen? Ich habe deshalb eine kleine Homo-industrialis-Skala zusammengestellt.
Unteres Ende: Am schwach betroffenen unteren Ende der Mitmach-Skala stehen Tätigkeiten wie z. B.: ein friedliches Buch lesen, Gespräche führen, Gemüse im Garten anbauen, Pflanzen gießen, Fahrrad fahren, mit dem Kind zur Schule laufen, mit dem Hund spazieren gehen…
Im Mittelfeld: die Arbeit als Informatiker, Ingenieur, Betriebswirt etc. in Großkonzernen, im Techno-Supermarkt das neueste Smartphone kaufen, im Internet die Börsenwerte checken…
Ganz oben: die Arbeit in Rüstungskonzernen, Bank-Vorständen, im Kabinett als Minister, Staatssekretär, Lobbyist; oder zum Shoppen am Wochenende nach Hongkong fliegen, im Porsche Cayenne Turbo S mit über 200 km/h über die Autobahn brettern und Emails checken…
Und wie werden die Mitmacher „überzeugt“? Durch Freiwilligkeit. Auf den Angeboten von Google, Facebook und Konsorten erscheint immer mal wieder eine Einverständniserklärung auf – für Dieses und Jenes. Und der Homo i. gibt gern alles von sich preis, damit er weiter die verführerischen Angebote erhält. Intimstes wird ohne Zögern übermittelt. Neuester Trend: Das Smartphone von Samsung hat einen Iris-Scanner. Damit alles ganz sicher ist, verspricht der Konzern. Und so wandern die gescannten Augäpfel digitalisiert in die globalen Datenbanken: ein Großversuch wie so viele. Bald wird man mit der Iris Geld am Bankautomaten abheben können.
Man nennt das Fortschritt. Dabei ist es ein kleiner Ausschnitt aus der Welt des Homo i.
Foto: (c) Zängl/GÖF